„So wie bisher können wir nicht weitermachen“

Verstärkung für Moringa und Co.: Gerhard Feldmeyer wird die Unternehmen der Landmarken Familie auf freiberuflicher Basis als Gestaltungs- und Innovationstreiber unterstützen. „Mit ihm haben wir einen sehr erfahrenen, kreativ denkenden Fachmann gewonnen, der hoch motiviert ist, gemeinsam mit uns die längst überfällige Bauwende voranzutreiben“, sagt Moringa-Geschäftsführer Vanja Schneider. Was ihn motiviert, darüber hat Gerhard Feldmeyer mit uns im Interview gesprochen.

Gerhard Feldmeyer - Foto

Verstärkung für Moringa und Co.: Gerhard Feldmeyer wird die Unternehmen der Landmarken Familie auf freiberuflicher Basis als Gestaltungs- und Innovationstreiber unterstützen. „Mit ihm haben wir einen sehr erfahrenen, kreativ denkenden Fachmann gewonnen, der hoch motiviert ist, gemeinsam mit uns die längst überfällige Bauwende voranzutreiben“, sagt Moringa-Geschäftsführer Vanja Schneider. Was ihn motiviert, darüber hat Gerhard Feldmeyer mit uns im Interview gesprochen.

Gerhard, du bist mit 66 Jahren satzungsgemäß bei HPP Architekten ausgeschieden, aber aufhören stand für dich nicht zur Debatte. Was möchtest du noch erreichen? Was ist deine Motivation?

Wir erleben in der Immobilienwirtschaft aktuell das Aufeinandertreffen schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen bei gleichzeitig steigenden Nachhaltigkeitsanforderungen. Es entsteht massiver Druck von der EU, der Bundesregierung und vom Finanzmarkt. Die Projekte, die wir jetzt lostreten, kommen in fünf bis sieben Jahren auf den Markt. Wer jetzt die richtigen Maßnahmen antizipiert, gepaart mit wirtschaftlichem Augenmaß, der wird vorne dabei sein.

Und da möchtest du mit deinen Erfahrungen helfen?

Ich habe in den letzten fünf bis sechs Jahren viele Erkenntnisse gewonnen, für die ich mich zunehmend begeistert habe. Deshalb möchte ich am Ball bleiben und mein Know-how gerne in ein zukunftsfähiges Immobilienunternehmen einbringen. Mich als Architekt haben zeitlebens auch immobilienwirtschaftliche Aspekte fasziniert. Ich habe immer versucht, mich in die Rolle des Bauherrn zu versetzen, Vermarktungsaspekte zu verstehen und zu erfahren, worauf ein späterer Käufer der Immobilie Wert legt. Deswegen hatte ich immer den Wunsch, mal auf der anderen Seite tätig zu sein.

Und wie bist du zur Landmarken Familie gekommen?

Ich kenne viele Entwickler. Die Landmarken sind mir aufgefallen, weil sie in den letzten Jahren viele zukunftsträchtige Weichenstellungen vorgenommen haben. Der Kontakt zu Moringa kam über Vanja Schneider zustande, den ich von früheren gemeinsamen Projekten kenne. Was ich bei ihm neben der Professionalität schätze, ist der Pioniergeist. Denn wir wissen ja, dass der Mensch nicht in der Lage ist, auf Gefahren, die in der Zukunft liegen, schon heute adäquat zu reagieren. Das passt nicht zu unserem Denk- und Sinnesapparat. Der Mensch reagiert eigentlich erst dann, wenn der Säbelzahntiger vor ihm aus dem Busch springt. Moringa setzt sich ambitionierte Ziele, und ich möchte mich dafür einsetzen, dass wir heute schon die richtigen Dinge antizipieren.

Welche Themen stehen dabei für dich im Vordergrund?

Kreislaufwirtschaft und Klimaanpassung. Beide Themen stehen übrigens in einem unmittelbaren Zusammenhang. Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft würde den CO2-Ausstoß drastisch reduzieren und damit dem Klima helfen. Auch da müssen wir antizipieren, wie das in wenigen Jahren in Form von Bauordnungen und anderen Vorschriften reglementiert wird, um schon jetzt die richtigen Lösungen zu finden und umzusetzen.

Warum geschieht das nicht schon längst in großem Maße?

Weil aktuell viele der Maßnahmen im Verdacht stehen, Kostentreiber zu sein. Das stimmt nur bedingt und ist darüber hinaus ständig im Fluss. Bei einem unserer Projekte wollten wir Recycling-Beton einsetzen. Erst hieß es, der sei nicht verfügbar, dann doppelt so teuer und am Ende ging es doch mit vertretbaren Mehrkosten. Es gibt aber auch unzählige Kleinigkeiten, die nichts kosten und in der Summe eine gute Wirkung haben. Eine Badarmatur mit einem Durchfluss von sechs Litern pro Minute z. B. kostet keinen Cent mehr und trägt maßgeblich zur Schonung der Ressource Wasser bei.

Wo siehst du die größten Hebel?

Die Kreislaufwirtschaft wird dafür sorgen, dass Rohstoffe dauerhaft zu vernünftigen Preisen verfügbar sind und dass wir einer Welt ohne Abfall ein Stück näherkommen. Wenn unsere Quartiere und Städte auch in 20 oder 50 Jahren noch lebenswert sein sollen, müssen wir jetzt dafür sorgen, dass sie grüner werden. Bäume sind nun mal die Klimaanlagen für den Außenraum. Wir werden nicht umhinkommen, Stellplätze im öffentlichen Raum zugunsten von mehr Grün zu opfern. In Wien gibt es die Initiative „Raus aus dem Asphalt“.  In Amsterdam werden ganze Straßen in den Wohngebieten umgewandelt, z.B. im Stadtteil De Pijp. Natürlich fahrrad- und fußgängerfreundlicher, aber auch entsiegelt und mit mehr Grün.  Wir müssen die Flachdächer so weit wie möglich begrünen. Wir müssen Gründächer und Photovoltaik kombinieren, die Energieversorgung ein Stückweit dezentralisieren. Wenn wir zunehmend Wärmepumpen einsetzen, heißt das nichts anderes als mit elektrischem Strom zu heizen.

Und dieser Strom muss vom Solardach darüber kommen?

Zumindest Teile davon. Es ist ja nicht nur ein Problem, den regenerativen Strom von Schleswig-Holstein über große Trassen nach Bayern zu bekommen. Es ist auch schwierig, den Strom innerhalb einer Stadt in die Nahverteilnetze zu kriegen, auch da sind die Kapazitäten eng. Wenn ich dezentral produziere und verbrauche, dann belaste ich nicht das Netz.

Manche fragen: Was denn nun, Begrünung aufs Dach oder Photovoltaik?

Beides! Bei der Photovoltaik ist das Problem: Wenn ich eine Anlage direkt auf ein dunkles Flachdach setze, wird sich dieses Dach extrem aufheizen und dadurch den Wirkungsgrad der Solaranlage extrem verschlechtern. Man wundert sich dann, warum die Realität schlechter ist als die vorherige Berechnung. Setze ich die PV-Anlage dagegen auf ein Gründach, habe ich einen viel höheren Wirkungsgrad.

Weitere Vorteile eines Gründachs sind die Abminderung von Hitzeinseln, Regenwasser-Rückhalt und die Verbesserung der Biodiversität.

Genau. Da gibt es den saloppen Satz: Jede Blüte zählt. Wenn man beobachtet, dass die Insekten immer früher im Jahr auf Pollensuche gehen, weil es eben früher wärmer wird, aber keine Blüte zu finden ist, kann man sich vorstellen, dass die Not groß ist.

Neben der Ressource Energie, die im Betrieb von Gebäuden verbraucht wird, verwenden wir auch beim Bau von Immobilien massiv Material – wie lässt sich hier Verschwendung vermeiden?

Als ich 1956 geboren wurde, lebten weniger als vier Milliarden Menschen auf der Erde, heute über acht Milliarden. Parallel dazu steigt trotz aller Armut auch der Wohlstand. Das Bevölkerungswachstum in Verbindung mit einer hohen Urbanisierungsrate hat zu einer globalen Bautätigkeit mit einem gigantischen Ressourcenhunger geführt. Aktuell wird jeden Monat auf dieser Welt einmal New York City gebaut. Das kann dauerhaft mit einer linearen Wirtschaft nicht funktionieren. Wir können mit diesem Prinzip des „Take – Make – Waste“ nicht mehr weitermachen.

Also mit dem linearen Prinzip des Nehmens, Verwendens und anschließenden Wegwerfens. Die Lösung ist dann die Kreislaufwirtschaft, in der eingesetzte Ressourcen nach ihrer Nutzung als Ausgangsstoffe für neue, schadstofffreie Produkte dienen können?

Ja, aber zunächst geht es um die Wiederentdeckung der Prinzipien Einfachheit und Langlebigkeit. Immobilien müssen so konzipiert werden, dass sie nicht nur 50 Jahre, sondern mit Anpassungen und Veränderungen auch 100 oder 200 Jahre nutzbar sind. Erst dann kommt das Thema Recycling. Kreislaufwirtschaft trägt maßgeblich zur Dekarbonisierung bei. Dazu müssen die Planer rückbaubar konstruieren, damit man die Rohstoffe möglichst einfach entnehmen kann. Sie müssen giftfrei und sortenrein sein, damit sie dem Kreislauf  wieder zugeführt werden können. Schon sehr gut funktioniert das beim Aluminium, das eine hohe Recyclingquote hat. Geschmolzenes Schrottaluminium hinterlässt einen viel niedrigeren CO2-Fußabdruck als neu aus Aluminiumerz, Bauxit, gewonnenes Aluminium. Bei Holz ist das auch nichts Neues. Es gibt ganze Geschäftsbereiche, die Altholz aus zurückgebauten Holzhäusern wieder in eine höherwertige Verwendung, zum Beispiel beim Möbelbau bringen.

Die Bundesregierung plant ja, einen Gebäuderessourcenpass einzuführen, er steht im Koalitionsvertrag. Was bedeutet das?

Ja, er wird in dieser Legislaturperiode kommen – da bin ich sicher! Das heißt, wir müssen für alle neuen Gebäude ausweisen, welche Ressourcen darin verbaut sind. Auch die Treibhausgasemissionen, Abfallaufkommen, Schadstoffe, der Zirkularitätsindex und einiges mehr sind anzugeben. Dafür gibt es digitale Werkzeuge, mit denen das nicht zu einem Bürokratiemonster wird. Das magische Wort lautet „Digital Twin“.

Ist die Materialermittlung auch im Bestand möglich?

Ja. Man kann, wenn man das Baujahr, die Nutzungsart und den umbauten Raum kennt, relativ präzise die stoffliche Zusammensetzung des Gebäudes ermitteln. Man weiß ja, wie in welchen Jahrzehnten gebaut wurde. Da mag es Abweichungen geben, aber eine relativ präzise statistische Annäherung ist möglich und sehr sinnvoll.

Wie wichtig sind denn diese Daten für die Ressourcenwende?

Kreislaufwirtschaft wird nur im Zusammenhang mit Digitalisierung funktionieren. Ich bin ja auch Botschafter für die niederländische Madaster Stiftung. Madaster hat eine Cloud Plattform geschaffen, auf der die Ressourcenpässe digital registriert werden. Neben der Berechnung der grauen Energie wird der Zirkularitätsindex ermittelt. Die finanzielle Bewertung, also der Ressourcen-Restwert, ist durch die Verknüpfung mit dem Datenmodell jederzeit möglich: nach der Errichtung, beim Verkauf, nach dem ersten Umbau zehn Jahre später, nach der Revitalisierung in 50 Jahren oder wenn die Immobilie abgerissen werden muss. So wird das Gebäude zum Rohstofflager. Wir arbeiten daran, dass das auch bei der Bewertung von Immobilien ähnlich dem Grundstückswert berücksichtigt wird.

Ein wichtiger Punkt, denn im Moment ist die Realisierung eines kreislauffähigen Gebäudes nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip (C2C) deutlich teurer. Das sollte sich dann auch in seinem anschließenden Wert widerspiegeln.

Darauf muss sich der Markt erst noch einstellen. Das gilt auch auf Anbieterseite, also für Hersteller und Bauindustrie. Wir leiden noch darunter, dass einfach nicht genug Produkte auf dem Markt sind. Wenn in einer bestimmten Materialklasse nur ein C2C-fähiges Produkt erhältlich ist, dann ist der Anbieter dieses Produkts sehr frei in der Gestaltung des Preises. Mittlerweile gibt es aber keinen Hersteller mehr, egal für welches Produkt, der nicht mit Hochdruck an diesem Thema arbeitet.

Du beschäftigst dich auch mit dem Thema Systembau. Welche Rolle spielt dieser in Zukunft?

Ich bin der festen Überzeugung, dass für eine Vielzahl von Bauaufgaben Systembau eine Lösung ist. Systembauteile lassen sich gut transportieren. Der große Vorteil liegt in der Intelligenz dieser Systeme und in ihrer konsequenten Umsetzung. Es wird künftig mehr Systembau geben, und zwar sowohl mit Holz, Stahl als auch Beton. Denn auch die Zementherstellung, heute einer der größten CO2-Emittenten, wird ihre Baustoffe durch veränderte Prozesse klimafreundlicher machen. Gleiches

gilt für Stahl.

Aber droht durch Systembau nicht gestalterische Langeweile?

Keineswegs! Wenn man das System in den Bereichen Tragwerk, Technikschächte, Vertikalerschließung, Nasszellen, Geschosshöhe und Gebäudetiefe konsequent umsetzt, dann kann man im Bereich der Gebäudehülle wiederum eine hohe Individualität anstreben. Ich habe mit HPP hier schon einige sehr positive Erfahrungen gemacht. Landmarken ist ja mit dem Produkt Spirit Offices auch dabei, mit Systembau eine individuelles Design zu schaffen. Man kann kreativ Parameter definieren, die sich auch an ortsspezifischen oder natürlichen Phänomenen orientieren und mit wenigen unterschiedlichen Fassadenmodulen eine attraktive Gebäudehülle schaffen. Denn eines wollen wir nicht: Dass die Gebäude zu Tode gerasterte Baukörper sind, die einfach nur langweilen.

Ein weiteres Thema, für das du dich interessierst, sind komplexe Quartiersentwicklungen. Was fasziniert dich daran?

Da gibt es ganz viele Faktoren. Einer ist die Resilienz. Ein gemischt genutztes Quartier ist widerstandsfähiger. Wenn eine Nutzung nicht mehr funktioniert, die anderen aber wohl, dann ist nicht das ganze Quartier ,gestrandet‘, sondern mit gezielten Eingriffen wieder flott zu machen.  Ein weiterer Punkt ist, dass man in einem Quartier eher energetische, ökologische oder auch soziale Themen umsetzen kann, als in einem Einzelobjekt.  In einem Quartier habe ich andere Skaleneffekte sowohl in der Technik als auch in der Nutzung als auch in sozialen Themen. Abgesehen davon glaube ich, dass es sinnvoll ist, lange Wege in der Stadt zu vermeiden. In einem überschaubaren Objekt mit 20 Wohnungen kann ich keine Kita unterbringen, aber für ein Quartier mit 200 Wohnungen finde ich vielleicht einen Träger, der das macht. Das schafft kürzere Wege, und wenn ich im gleichen Quartier, in dem ich wohne oder arbeite, meine Kinder unterbringen kann, ist das ein Vorteil, der auch für die Vermarktung gut ist. Fazit: Ein kleines Objekt multifunktional zu machen, ist schwierig, ein größeres Quartier multifunktional zu machen, ist ein absolutes Muss!

Weitere Information:
Seine Expertise sammelte Gerhard Feldmeyer in seiner Tätigkeit für international renommierte Architekturbüros. Nach einem Jahr in Tokio und einigen Jahren bei Meinhard von Gerkan (gmp) in Hamburg war er mehr als drei Jahrzehnte bei HPP, wo er seit 2002 als Partner und Geschäftsführer Verantwortung trug. Heute ist Gerhard Feldmeyer, der sich insbesondere der Nachhaltigkeit, komplexen Quartiersentwicklungen und dem Bauen der Zukunft verschrieben hat, auch Botschafter der Madaster Stiftung, die globale Online-Plattform, die den zirkulären Einsatz von Materialien und Produkten in der Bauwirtschaft ermöglicht

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